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DSB-Themenwoche: Olympiasieger Henri Junghänel: „Man muss offen sein für Glück“

20.11.2020 08:15

Zielstrebigkeit und kontinuierliche Arbeit brachten Henri Junghänel nicht nur zu olympischem Gold, sondern ebneten ihm auch seine berufliche Karriere. Wie es dazu kam, wie sich sein Leben seither verändert hat und wie man Glück auch ein Stück weit selbst in der Hand hat, erzählt er vier Jahre nach seinem Gold-Coup in Rio de Janeiro.

Bild: ISSF / Der Olympiasieg in Rio de Janeiro 2016 eröffnet Henri Junghänel auch im Beruf neue Türen.
Bild: ISSF / Der Olympiasieg in Rio de Janeiro 2016 eröffnet Henri Junghänel auch im Beruf neue Türen.

„Papa!“ Noch ist es nicht soweit, als dass der Nachwuchs der Familie Junghänel nach seinem Papa rufen könnte, trotzdem gibt inzwischen seit knapp einem Jahr nicht mehr der Sport, sondern sein Sohn von Olympiasieger Henri Junghänel, den Ton an. Früher – also noch vor vier Jahren – war Junghänel es gewohnt, sich selbst zu organisieren, seinen Tagesablauf zu strukturieren und mit dem Trainingsplan zu vereinbaren. Heute erinnert nur noch die Olympiamedaille im Wohnzimmerregal an die alten Zeiten, sein Leben hingegen verändert sich von Woche zu Woche. Studium und Sport wurden gegen Job und Familie getauscht. Ein Leben, dass heute mehr denn je „fremdgesteuert“ ist, dem 32-Jährigen aber durchaus zusagt: „Ich bin rundum glücklich!“

Glück, dass sich der Weltklasse-Schütze Schritt für Schritt selbst erarbeitet hat. Nach dem Abitur geht er in die USA, um dort mit Hilfe eines Stipendiums Maschinenbau zu studieren. Es ermöglicht ihm, seine berufliche Zukunft zu planen, aber gleichzeitig seiner Leidenschaft, dem Sportschießen, nachzugehen. Sein großes Ziel: eine Teilnahme bei Olympia. Auf dem Weg sammelte er eifrig Medaillen bei Junioren-Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und Europaspielen, gewann 2013 gar das Weltcup-Finale im Liegendwettbewerb und wurde daraufhin vom internationalen Weltverband ISSF zum „Weltschützen des Jahres“ gekürt. 2016 ist es dann soweit, Junghänel qualifiziert sich für seine ersten Olympischen Spiele in Rio de Janeiro, fährt hin – und gewinnt.

Zielstrebigkeit zu beweisen, auch wenn Rückschläge einen zurückwerfen, zeichnet Sportler aus.

Henri Junghänel, Olympiasieger

Im Liegendwettbewerb, seiner Paradedisziplin, deklassiert er die Konkurrenz und setzt sich mit neuem olympischen Rekord von 209,5 Ringen vor den Südkoreaner Kim Jonghun und den Russen Kirill Grigorian an die Spitze. Damit reiht er sich nach Peter Kohnke, Karlheinz Smieszek und Christian Klees nicht nur in die Hall of Fame der Deutschen Liegend-Olympiagoldmedaillengewinner ein, sondern er geht in die Memoiren auch als der letzte Kleinkaliber-Liegend-Olympiasieger der Geschichte ein, denn kurz darauf wird die Disziplin aus dem olympischen Programm gestrichen. „Ich habe diese Entscheidung hingenommen und letztendlich hat es mir den Ausstieg vereinfacht, auch, wenn ich die Entwicklung nicht schön finde“, erzählt Junghänel nüchtern, der als aktiver Schütze im Athleten-Komitee aktiv war.

Der frischgebackene Olympiasieger hatte jedoch bereits zuvor andere Pläne, wollte eine Auszeit vom Schießsport, erstmal mit seiner Freundin elf Wochen durch Argentinien, Chile und Panama reisen und sich dann um den Berufseinstieg kümmern. Ihm war stets bewusst, dass der Zeitpunkt nach dem Sport kommen würde, an dem man sich anders orientieren müsse. Seine Jobsuche erwähnte er auch beiläufig in einem Interview nach dem Olympiasieg, das ihm im Nachhinein eine wichtige Tür öffnen sollte: „Ich wurde von verschiedenen Firmen angeschrieben, hatte vor und während der Reise ein Telefoninterview und habe im Endeffekt zum 1. Februar 2017 bei einem Automobilhersteller in Stuttgart als Entwicklungsingenieur angefangen.“ Heute weiß Junghänel, der inzwischen als Prozess-Ingenieur im Karrosseriebau arbeitet: „Es hätte nicht besser laufen können, aber ich habe mir den Grundbaustein mit meinem Studium neben dem Sport auch selbst gelegt.“ Auf die Frage, warum Olympiasieger so attraktiv für Arbeitgeber sind, hat Junghänel ebenfalls eine einfache Erklärung: „Sie haben nachgewiesen, dass sie leidensfähig, zielstrebig und belastbar sind. Es gibt keinen Leistungssportler, der eine Goldmedaille gewonnen hat, ohne Rückschläge wegstecken zu müssen und auf dem Weg dorthin gelitten hat. Zielstrebigkeit zu beweisen, auch wenn Rückschläge einen zurückwerfen, zeichnet Sportler aus. Und auch in einer Einzelsportart, bedarf es Teamfähigkeit. Man hat ein Geben und Nehmen gelernt.“

2017 kehrte der Olympiasieger noch einmal zum Weltcup-Finale in Neu Delhi (IND) auf die internationale Bühne zurück, wird Zweiter und verabschiedet sich ebenso schnell wieder. „Es hat nicht mehr so gekribbelt, als dass ich wieder Lust auf einen Wiedereinstieg gehabt hätte“, erklärt Junghänel seine Entscheidung. Seither habe er nie wieder Liegend geschossen. Sein Kleinkaliber-Gewehr kann man heute im Walther-Schießmuseum betrachten, eine Rückkehr mit dem Luftgewehr möchte der passionierte Schütze jedoch noch nicht ausschließen: „Vielleicht fange ich damit irgendwann einmal wieder an.“ Weil ihn der Schießstand doch irgendwie reizte, versuchte sich der Gewehrschütze zwischendurch mit der Luftpistole, schoss sogar ein paar Wettkämpfe in der zweiten Bundesliga, aber Liegend wolle er nicht mehr schießen: „Ich weiß, was möglich ist, ich weiß aber auch, dass ich das Trainingspensum nicht mehr absolvieren kann, was ich bräuchte, um wieder an meine Leistung zu kommen. Das wäre zu frustrierend.“ Es ist eine Frage des Ziels. Was will ich erreichen? Früher wie heute legt der ehemalige Leistungssportler den Fokus darauf, das was er mache, gut zu machen – egal, ob als Sportler, Arbeitnehmer, Ehemann oder Vater. „Ich habe alle mittelfristigen Ziele erreicht“, so der zielstrebige Neu-Papa zufrieden, für den sich die Prioritäten inzwischen verändert haben: „Heute will ich meinen Sohn aufwachsen sehen und Zeit mit ihm verbringen. Ich will ein glückliches Familienleben haben, was für mich deutlich wichtiger ist als monetäre Sachen. Beruflich habe ich noch keine Zielposition vor Augen, ich will grundlegend gute Arbeit leisten und mit meiner Arbeit zufrieden sein. Und vielleicht ergeben sich dabei irgendwann konkretere Ziele.“

Ab und an werde er auch heute noch in der Arbeit auf seinen Olympiasieg angesprochen. In der Öffentlichkeit sieht das anders aus: „Es ist ein Ruhm für zwei bis drei Wochen.“ Böse sei er darum nicht. Er war noch nie der laute Sportler, eher der, der sich kontinuierlich nach vorne kämpfte, mit Leistung statt Worten überzeugte und den seine Zielstrebigkeit weit brachte. Junghänels Tipp: „Retrospektiv hatte ich immer viel Glück, aber man muss durchaus offen für Glück sein. Offen für Kontakte, offen für Gesprächspartner. Wenn sich eine Tür öffnet, sollte man das wahrnehmen und reingehen. Es bieten sich unglaublich viele Möglichkeiten auf dem Weg, aber man muss sie wahrnehmen und sehen.“ Es ist vielleicht nicht nur für ihn der Weg zum Glück.

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